Herdenschutzhunde müssen um so stärker auf Menschen sozialisiert werden, wenn sie - ausserhalb ihrer ursprünglichen Aufgabe in menschenleeren Siedlungen - als Haushunde in dichter besiedelten Räumen gehalten werden. Ihr Bewegungsbedarf ist überdurchschnittlich, reine Wohnungshaltung sollte dagegen tabu sein.
Ich lese in letzter Zeit oft davon, dass diese Hunde "nicht für jedermann" oder "nur in erfahrene Hände" gehörten. Das ist richtig und gut gemeint, reizt aber ausgerechnet jene, die sich nicht als Jedermann oder gar - selbst überschätzend - als erfahren für diese sehr selbstbewussten (sofern die Prägung und Grundausbildung dieser Entwicklung entsprach) Hunde glauben. Das kann fürchterlich in die Hose gehen.
Grosse Hunde sind nicht Spät-, aber Langsamentwickler, sie entwickeln sich auch körperlich gleichmässiger. Das ist nicht zu verwechseln mit geistiger Langsamkeit, denn genau darin sind sie wie alle Arbeitsprägungen höchst "helle". Ich meine mit "langsam" nur die Dauer bis zur völligen Ausreifung des Körperbaus. Das kann bis zu drei Jahren dauern. Im charakterlichen Typ ausgereift sind sie oft erst mit rund vier.
Luise Daser züchtete früher Sarplaninac-Herdenschutzhunde, hörte aber unter anderem wegen der üblichen Vereinsmeiereien auf. Heute hält sie tibetische Spaniels. Ein Faible hat sie natürlich immer noch für diese Grossen. Gerade in der "Kampfhunde-Hysterie" wurden vornehmlich die Kaukasischen Owtscharki in diese pauschale Verleumdung hineingezogen, wie üblich ohne jede qualifizierte Begründung.
Sie mailte zu einem Forums-Thread noch eine kleine Episode: "Zu den Vermenschlichungen muss ich noch was mitteilen. Ich erhielt ein Video aus Russland, auf dem Hundekämpfe mit Kaukasen gezeigt wurden. Zwei starke Rüden standen sich mit hoch erhobener Rute gegenüber und wurden gleichzeitig von der Leine losgemacht. Wütend gingen sie aufeinander los. Schnell zeigte sich, wer der Stärkere war.
Der Unterlegene unterwarf sich. Der siegreiche Kontrahent verliess steif den Kampfplatz und war zu einer Fortsetzung nicht zu bewegen. Ein Herdenschutzhund kann nicht sinnlos seine Kräfte verprassen! Die Lage war geklärt, und der enttäuschte Besitzer konnte auch durch herumfuchtelndes Anfeuern nichts ändern. Kluger Hund! Er sollte unsere ganze Hochachtung bekommen, denn er ist viel klüger als sein dummer Besitzer."
Aus dem Spüren, Hetzen und Treiben sind durch geschickte Menschen Hunde- Spezialisten geworden. Die einkreisende Arbeit von Hüte- oder Schäferhunden ist nichts anderes als umfunktioniertes Treiben.
Ganz anders arbeiten Herdenschutzhunde. Es sind Hunde mit geringstmöglichem Jagdtrieb (bis auf die erwähnten Ausnahmen). Sie vertreiben Eindringlinge, setzen ihnen nach, verfolgen sie eine Weile; dies darf man nicht verwechseln. Jagen wäre aber nachhaltiger Beutetrieb, und das haben die meisten Herdenschutzhunde nicht.
Herdenschutzhunde müssen aber strikt herdengebunden sein: ein Ausbildungsziel. Die Hunde warnen deshalb innerhalb ihrer selbstgewählten Distanz für Fremde, ob Mensch oder Tier. Diese wenigen deutlichen Warnungen müssen ernst genommen werden, sonst erfolgt ein - ebenfalls selbstständiger - Angriff. Selbst läufige Hündinnen sind kaum von der Herde wegzulocken.
Wie arbeiten sie nun denn, die aktiven Typen? Sie arbeiten vor allem schlecht als Einzelhunde. Wenn Nutztierzüchter glauben (aus Geiz?), ein einziger Herdenschutzhund (womöglich als Junghund - sie brauchen mindestens 30 Monate, um erwachsen zu sein) würde genügen, seine Aufgabe allein übernehmen, dann schieben sie es auch noch auf den Hund zu, der nicht von erfahrenen Herdenschutzhunden lernen kann. Sie arbeiten viel effektiver, und so ist es auch natürlich im Rudelverband, wenn die kleinen Herdenschutzhunderudel von mindestens vier Hunden die Heranwachsenden mit Selbstbewusstsein und Erfahrung im Umgang mit den Eindringlingen und den Schutzbefohlenen unterweisen. Das können - wie bei anderen Hütehunden - nur die Althunde.
Herdenschutzhunde warnen von weitem mit durchdringendem Gebell, wenn fremde Menschen zu nah an die Herde herankommen. Ignorieren die Fremden diese Warnung, kann es sein, dass ein Hund einen Scheinangriff ansetzt. Aber nur einen Scheinangriff. Der nächste ist kompromisslos.
Bei grossen Herden arbeiten meist mehrere Hunde innerhalb und ausserhalb der Herde. Nachts ziehen sie einen Kordon um die Herde, wandern daher oft um die Herde, sondieren die Umgebung, postieren sich scheinbar ruhig liegend um die ruhende Herde. Im Morgengrauen beziehen sie aber "Posten", sind hellwach. Dann ist Hauptangriffszeit der Wölfe und Kojoten.
Erst die Hunde aus Europa brachten einige amerikanische Rancher vor fast 30 Jahren darauf, dass diese Hunde erfolgreich vor Wölfen und Kojoten schützen. Die ersten von Ray Coppinger aus Italien nach USA mitgebrachten waren ein paar Maremmani-Abruzzese, dann folgten Sarplaninac, Komondor und Podhalanski.
Die Neulinge auf diesem Gebiet glaubten aber, diese Hunde könnten wie Maschinen einfach ins neue Revier eingeflogen werden und - fertig ist der Schutz. Sie müssen sich auch anpassen und eingewöhnen. Die meisten dieser Hunde hierzulande haben freilich so viele Wölfe gesehen wie Stadtmenschen. Sie arbeiten auch nie alleine, Junghunde benötigen als Lehrmeister Alttiere. Aber nach der Lehrzeit keinen Hirten.
Um eventuell doch neugierige Jungspunde an die Herde zu binden, bindet der Hirte ihnen Holzpflöcke um den Hals. Die baumeln und schlagen an die Vorderläufe beim Wegrennen, dass es diesen "Herdenflüchtern" bald vergällt, wegzulaufen. Ein guter Herdenschutzhund bleibt so eisern bei den Schützlingen, dass es schwer wird, eine Verpaarung einander zunächst fremder Tiere zu arrangieren.
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